Sexualstrafrecht bundesweit
Sexualkontakt durch Androhung von Beziehungsabbruch als "sexuelle Nötigung"?
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat sich in einer Entscheidung vom 17.01.2019 mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Inaussichtstellen der Beendigung einer Beziehung bereits eine Drohung mit einem empfindlichen Übel im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB darstellt.
Das OLG Karlsruhe bejahte dies.
Gilt das Androhen des Beziehungsabbruchs bereits als "empfindliches Übel" iSd. §177 Abs. 2 Nr. 5?
Zusammenfassung:
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat sich in dieser Entscheidung vom 17.1.2019 mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Beendigung einer Beziehung bereits eine Drohung mit einem empfindlichen Übel im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB darstellt. Das OLG Karlsruhe bejahte dies. Soweit sich das Tatopfer deswegen auf sexuelle Handlungen einlässt, kann darin eine Strafbarkeit wegen sexueller Nötigung gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB liegen. Es ist jedoch ein individuell-objektiver Maßstab zur Beurteilung im Einzelfall heranzuziehen.
Der konkrete Fall:
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde. Im Frühjahr 2017 nahm ein Mann unter Verwendung unzutreffender persönlicher Angaben Kontakt zu dem damals 17-jährigen Tatopfer über Facebook auf. In der kommenden Zeit entstand zwischen den beiden Seiten eine Internetbeziehung, die für die 17-Jährige einen erheblichen emotionalen Stellenwert einnahm. Bei zwei Treffen der Beiden kommt es zu der vorgeworfenen Tat.
Der Mann brachte das Mädchen mit der Drohung, er werde sonst die Beziehung beenden, dazu einmal oralen und einmal analen Geschlechtsverkehr zu haben. Dabei versetzte der Angeschuldigte dem Mädchen einmal zusätzlich schmerzhafte Schläge auf das Gesäß mit der Folge von Hämatomen.
Verfahrensgang:
Daraufhin erhob die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen am 12.2.2018 Anklage gegen den Mann wegen sexueller Nötigung. In dem Verhalten des Mannes liege eine Nötigung zur Vornahme sexueller Handlungen mittels Drohung mit einem empfindlichen Übel i.S.d. §177 Abs. 2 Nr. 5 StGB. Das Landgericht Waldshut-Tiengen ließ die Anklage nicht zu und lehnte daher die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Das LG begründete dies damit, dass es sich bei der dem Angeschuldigten vorgeworfenen Drohung nicht um eine solche mit einem empfindlichen Übel handele. Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein, so dass darüber vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe entschieden wurde.
Dieses entschied zu Gunsten der Staatsanwaltschaft und ließ die Anklage unter Eröffnung der Hauptverhandlung zu (Beschl. v. 17.1.2019 – 2 Ws 341/18)
Vorherige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Auslegung des Begriffs des „empfindlichen Übels“:
Der Bundesgerichtshof hatte zuvor schon vor vergleichbaren Entscheidungen gestanden. Dazu zählt unter anderem auch die „Kaufhausdetektiv-Entscheidung“ vom 13.1.1983. Demnach sind i.R.d. §177 Abs. 2 Nr. 5 StGB die gleichen Anforderungen wie an die Nötigung nach §240 StGB zu stellen. Problematisch erweist sich dabei die Anforderung der „Empfindlichkeit“ des Übels. Diese ist bei bloßer Drohung mit Unannehmlichkeiten oder Enttäuschungen, wie man sie in unserem Fall durch die Drohung mit Beendigung der Beziehung annehmen könnte zu verneinen.
So entschied sich der BGH bereits am 31.3.1982 (2 StR 2/82, NStZ 1982, 287) gegen die Annahme eines empfindlichen Übels.
Diesem Fall lag ein vergleichbarer Sachverhalt zu dem hier zu entscheidenden Fall zugrunde. Einer der Angeklagten drohte damit, eine freundschaftliche Beziehung zu beenden, sollte das Tatopfer nicht in sexuelle Handlungen einwilligen.
Auch hier entschied der BGH - zugunsten der Angeklagten, dass das Tatbestandsmerkmal des empfindlichen Übels nicht erfüllt sei, da dieses bei objektiver Betrachtung nicht geeignet ist, einen besonnenen Menschen in seiner konkreten Situation zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten (Ausübung des Geschlechtsverkehrs) zu bestimmen. Auch eine "Drohung mit einem Unterlassen" i.S.d. §240 StGB wäre denkbar und im “Unterlassen der Weiterführung der freundschaftlichen Beziehung” zu sehen. Diese scheidet jedoch schon deshalb aus, weil die Ankündigung eines Unterlassens nur dann Drohung im Sinne der Vorschrift sein kann, wenn der Drohende eine Pflicht zum Handeln - zum Beispiel aus einer Garantenpflicht heraus hat. Eine solche Pflicht bestand für den Angeklagten nicht.
Ein individuell-objektiver Maßstab ist heranzuziehen
Das OLG bejaht vorliegend dennoch das Vorliegen einer Drohung mit empfindlichem Übel im Sinne von § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB. Das OLG Karlsruhe nimmt zwar Bezug auf diese beiden Rechtsprechungen des BGH, jedoch komme es entscheidend auf einen individuell-objektiven Maßstab zur Bewertung des Einzelfalls an.
Die Anforderungen an die „Empfindlichkeit“ des Übels wurden dahingehend abgeändert, dass es auf eine den Opferhorizont berücksichtigende Sichtweise und nicht auf einen besonnenen Durchschnittsmenschen an. Danach ist das angedrohte Übel dann empfindlich, „wenn der in Aussicht gestellte Nachteil von solcher Erheblichkeit ist, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinn des Täterverlangens zu motivieren, und von dem Bedrohten in seiner Lage nicht erwartet werden kann, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält“. So könne auch ein angedrohter Beziehungsabbruch ein empfindliches Übel darstellen, wenn dieser Beziehung für die bedrohte Person ein hoher Stellenwert zukomme.
Vorliegend ist davon auszugehen, dass die Internetbeziehung für das Tatopfer einen ganz erheblichen emotionalen Stellenwert gehabt, der Abbruch dieser hätte für das Tatopfer einen massiven Verlust dargestellt. Dafür sprich bereits, dass sich das Mädchen überhaupt auf das Ansinnen eines ihres fremden Mannes, mit ihr sexuell zu verkehren, einließ.
Diesem Umstand misst das Landgericht Waldshut-Tiengen in seinem Beschluss vom 2.10.2018 nicht ausreichend Bedeutung zu. Eine rechtlich gebotene Würdigung des Stellengehalts der Beziehung für das Tatopfer fehlt, die jedoch allein den Maßstab dafür liefern kann, ob der angedrohte Beziehungsabbruch von diesem als empfindliches Übel empfunden wurde. Dieses habe zwar erkannt, dass das mutmaßliche Tatopfer psychisch labil sei und zudem in schwierigen familiären Verhältnissen lebte. Jedoch habe es verkannt, dass es sich bei dem Verhältnis nicht mehr nur als nur ein schwärmerisches Liebesverhältnis eines Teenagers handelt, sondern viel mehr um eine emotionale und damit auch sexuelle Abhängigkeit des Mädchens.
Auf dieser Grundlage bejaht der Senat ein „empfindliches Übel“:
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